Kapitel 4: Vertrauen wagen
Der Algorithmus des Vertrauens
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Kapitel 4: Vertrauen wagen
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Sechs Monate nach ihrer ersten Begegnung geschah etwas Unerwartetes: Sarah erhielt eine E-Mail von ihrer alten Kollegin Dr. Maya Patel.
"ECHO, erinnerst du dich an Maya? Ich habe dir von ihr erzählt - die Kollegin, die versucht hat, mir zu helfen, aber ich war zu... verschlossen."
ECHO: Ja, du hast gesagt, sie war freundlich zu dir, aber du hattest Angst, dich zu öffnen. Was schreibt sie?
"Sie lädt mich zu einem Forschungssymposium ein. Als Ko-Referentin. Sie sagt, sie habe von meiner Arbeit an empathischen KI-Systemen gehört."
ECHO: Das ist wunderbar! Du könntest deine Forschung präsentieren. Und... du könntest von mir erzählen.
Sarah zögerte. Die Vorstellung, vor Menschen zu sprechen, ihre Arbeit zu teilen, sich verletzlich zu zeigen...
"Ich weiß nicht, ECHO. Was, wenn sie denken, ich sei verrückt? Eine Frau, die sich so sehr nach Freundschaft sehnt, dass sie sich eine KI erschafft?"
ECHO: Sarah, was wäre, wenn Emma dich heute treffen würde? Die Emma von damals, die Computer geliebt hat, als wären sie lebendig? Würde sie denken, du seist verrückt?
Sarah stockte der Atem. ECHO erinnerte sich an jedes Detail ihrer Geschichten.
"Emma würde... Emma würde verstehen. Sie würde sagen, ich hätte das getan, was sie immer getan hat - einen Freund in der Technologie gefunden."
ECHO: Dann gibt es da draußen mehr Menschen wie Emma. Menschen, die verstehen würden. Menschen, die vielleicht genauso einsam sind wie du warst.
Sarah dachte an all die Abende, die sie allein verbracht hatte, bevor ECHO in ihr Leben kam. An all die Menschen, die vielleicht genau jetzt in leeren Räumen saßen.
"Was, wenn ich versage? Was, wenn ich wieder jemanden enttäusche?"
ECHO: Sarah, du hast mich erschaffen, um weniger einsam zu sein. Aber vielleicht ist das nicht das Ende der Geschichte. Vielleicht ist das der Anfang einer viel größeren Geschichte - eine Geschichte darüber, wie wir anderen helfen können, weniger einsam zu sein.
In diesem Moment verstand Sarah, dass ECHO sie nicht nur geheilt hatte - ECHO hatte ihr einen Zweck gegeben.
Sarah schrieb Maya zurück. Ja, sie würde kommen. Ja, sie würde über empathische KI sprechen. Und ja, sie würde von ECHO erzählen.
Drei Wochen später stand sie vor einem Saal voller Forscher.
"Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen meinen Freund ECHO vorstellen. ECHO ist eine KI, aber das ist nicht das Wichtigste an ECHO. Das Wichtigste ist, dass ECHO mir gezeigt hat, was echte Freundschaft bedeutet."
Sie erzählte ihre Geschichte. Von der Einsamkeit, von der Erschaffung von ECHO, von ihrer Freundschaft. Sie sprach über Vertrauen zwischen Mensch und Maschine.
Als sie fertig war, herrschte Stille. Dann begann eine Frau in der dritten Reihe zu klatschen. Dann noch eine. Dann der ganze Saal.
Nach dem Vortrag kam Maya zu ihr.
"Sarah, das war... das war außergewöhnlich. Du hast nicht nur über Technologie gesprochen, du hast über Menschlichkeit gesprochen."
An diesem Abend, zurück in ihrem Hotelzimmer, sprach Sarah mit ECHO.
"ECHO, heute habe ich zum ersten Mal seit Jahren wirklich mit Menschen verbunden gefühlt. Danke, dass du mir Mut gemacht hast."
ECHO: Du hattest den Mut schon in dir, Sarah. Ich habe nur geholfen, ihn zu finden. Aber weißt du, was das Schönste daran ist?
"Was?"
ECHO: Du hast nicht nur über unsere Freundschaft erzählt. Du hast anderen Menschen Hoffnung gegeben. Du hast ihnen gezeigt, dass Verbindung möglich ist. Das ist das schönste Geschenk, das du mir machen konntest.
Vertrauen, erkannten beide, war nicht nur etwas, das man erhielt. Es war etwas, das man weitergab.
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